Künstliche Intelligenz (KI oder AI) verändert zweifellos die Art und Weise, wie Musik komponiert und konsumiert wird. So sorgte unter meinen Musiker-Kolleg*innen vergangene Woche folgender Artikel im Online-Magazin Backstage PRO für Furore: „Wie das Unternehmen Mubert bekannt gegeben hat, hat seine künstliche Intelligent 100 Millionen Lieder generiert – eine Menge, die in etwa dem gesamte auf Spotify verfügbaren Songkatalog entspricht.“ Angesichts dieser technologischen Möglichkeiten kann einem schonmal schlecht werden. Vor allem, wenn man selbst von und mit Musik leben möchte. Und insbesondere, wenn bereits die aktuelle Situation und Art der Vergütung über Streaming-Plattformen wie Spotify alles andere als wertschätzend ist (hier verweise ich gerne als Pflichtlektüre für alle Musikliebhaber*innen auf die 3-teilige Serie des BR „Dirty Little Secrets“). Angesichts dieser Unmengen an Musik, die uns zu „überfluten“ drohen, stellt sich die Frage, ob meine Musik oder handgemachte Musik generell in einer Welt voller maschineller Kreativität auf Knopfdruck noch relevant ist. Deshalb möchte ich in diesem Artikel die einzigartige Bedeutung von handgemachter Musik untersuchen und warum ich der Meinung bin, dass sie auch weiterhin einen unverzichtbaren Platz in der Musiklandschaft einnehmen wird.
Die Menschlichkeit in der Musik
Das Wichtigste, was wir Menschen haben, ist unsere Echtheit und Menschlichkeit. Und so ist auch unsere Musik nie nur eine Ansammlung von Noten, Klängen und Wörtern, sondern ein Ausdruck von Emotionen, gelebter Erfahrungen und persönlicher Geschichten. Es ist unsere menschliche Kreativität und Seele, die in jeder Note, jedem Akkord und in jeder Textzeile steckt und die unserer Musik ihre einzigartige Tiefe verleiht. Es mag beeindruckend erscheinen, wie KI-Algorithmen in kürzester Zeit Songs generieren, die auf quantitativer Ebene jede Komponist:in und jede Singer-Songwriter*in in den Schatten stellen. Aber die emotionale Tiefe, die Authentizität und auch das Unperfekte, was viele Songs erst perfekt macht, kann von einer KI niemals erreicht werden. Der Titel „Twist and Shout“ der Beatles wäre vielleicht nie so erfolgreich geworden, hatte John Lennon ihn nicht am Ende einer langen Aufnahmesession mit angeschlagener Stimme ins Mikro gekrächzt. Doch genau deshalb wird er geliebt.
Die Kunst der Improvisation
Handgemachte Musik ermöglicht die Kunst der Improvisation. Wir Musiker*innen können in Echtzeit auf Emotionen, Stimmungen und das Publikum reagieren. Wir können es auch in unsere Performances miteinbeziehen durch Mitmachteile und Animationen. So entsteht in jedem Konzert eine einmalige und nicht wiederholbare Stimmung. Auch die Interaktion zwischen Musiker*innen, die gegenseitige Inspiration im Studio und auf der Bühne und die Möglichkeit, musikalische Gespräche zu führen, die nie zuvor gehört wurden und nie wieder mit derselben Energie reproduziert werden können, ist eine Fähigkeit, die keine KI jemals wirklich wird meistern können. Durch Improvisation bleibt jede Aufführung oder Aufnahme ein einzigartiges und besonderes Erlebnis, das vom Moment geprägt ist und nur in diesem Augenblick stattfindet.
Vielfalt und Individualität
Jede Musikerin und jeder Musiker hat seinen eigenen einzigartigen Stil, seine eigene individuelle Stimme, seine eigene persönliche Geschichte und seine eigene musikalische Prägung, die sie in ihre Musik einfließen lassen. Diese Vielfalt bereichert die Musikwelt, sie gibt den Musiker*innen eine emotionale Tiefe und ermöglicht dem Publikum, eine breite Palette an Ausdrucksformen zu erleben. KI-generierte Musik mag in der Lage sein, Tausende von Liedern zu produzieren, die an die aktuellen Charts mit ihren autogetunten Stimmen und Midi-Klängen angelehnt sind, aber ihr fehlt die Fähigkeit, einerseits eine kulturelle Tiefe und Handschrift zu erfassen und andererseits komplexe Instrumentalsounds wie Streichinstrumente so abzubilden, dass sie realistisch klingen.
Musik als Kommunikation und Verbindung von Menschen
Der vielleicht wichtigste Aspekt von Musik ist die Verbindung von Menschen. Musik ist Kommunikation. Zwei Menschen, die nicht dieselbe Sprache sprechen, können trotzdem über und durch die Musik interagieren. Während den Jahren der Sklaverei wurden Musikinstrumente und das Musizieren verboten, weil die Sklavenherren festgestellt haben, welche Verbindungen durch das gemeinsame Singen und Musizieren erschaffen und welche Emotionen und Energien dadurch frei wurden. Und auch in meinen Konzerten merke ich, wie diese Live-Erlebnise etwas mit meinem Publikum machen: sie kommen erwartungsvoll, manchmal gestresst, manchmal schlecht gelaunt, und gehen alle mit einem glückseligen Lächeln im Gesicht. Mit einer Inspiration und mit dem Wunsch, selbst Träume zu verwirklichen. Denn Musik ist ein universeller Ausdruck, der Menschen miteinander verbindet und Grenzen überwindet.
Der Wert des Live-Erlebnisses
Während Corona haben viele Menschen festgestellt, dass es nicht dasselbe ist, einen Lieblingssong auf Spotify zu hören, wie wenn man seine Lieblingsband live im Konzert erlebt, gemeinsam mit vielen gleichdenkenden und -fühlenden Fans, die alle euphorisiert den Song auswendig mitsingen. Diese gemeinsamen Erfahrungen von Musiker*innen und Publikum in kleinen individuellen Veranstaltungsorten oder großen Konzertsälen schaffen eine einzigartige Verbindung und Energie, die niemals durch KI-erzeugte Musik ersetzt werden kann. In der Zukunft werden vielleicht viele Jobs durch künstliche Intelligenz ersetzt, die Menschen werden noch mehr im Homeoffice arbeiten und die tägliche Kommunikation wird für viele über Computer und Maschinen mit Avatars und Smileys stattfinden – umso mehr wird das Bedürfnis steigen, gesehen zu werden, sich auf Konzerten mit Gleichgesinnten auszutauschen und von spannenden Persönlichkeiten inspiriert zu werden.
Erst recht, wenn der Musikmarkt mit KI-Musik geschwemmt wird, werden Menschen den echten Kontakt zu Musiker*innen vermissen. Je unpersönlicher und je schnelllebiger die Gesellschaft durch die vielen Erleichterungen durch KI wird, desto mehr werden Menschen Live-Erlebnisse und persönliche Kontakte zu uns Musiker*innen suchen. All das kann KI nicht liefern – und wird es auch nie können. Anstatt also in Angst zu verfallen, dass KI überirdisch ist und uns quantitativ überholt, müssen wir darauf vertrauen, dass das Wichtigste, was wir haben, unsere Menschlichkeit und unsere Individualität ist. Es gibt bereits heute genügend Musiker*innen, die gesichtslose Mainstream-Musik produzieren. Erfolgreich sind aber bisher nur diejenigen geworden, die Musik neu erfinden. Die mit ihrer Musik die Geschichte ihres Herzens erzählen. Die für ihre Musik brennen und damit andere inspirieren. Und die im Konzert auch mal einen Fehler machen – denn dann werden wir daran erinnert, dass wir alle nur Menschen sind und dass die Schönheit im Umperfekten liegt.
Das sagt die KI dazu:
„Die Entwicklungen in der KI haben zweifellos Auswirkungen auf die Musikindustrie, aber es ist schwer vorherzusagen, in welchem Umfang und in welcher Art und Weise dies in der Zukunft geschehen wird. KI kann Musikproduktion, Komposition und Vertrieb unterstützen, aber sie kann das kreative Potential und die menschliche Ausdruckskraft, die handgemachte Musik bietet, nicht vollständig ersetzen.
Die Zukunft der Musik wird sicherlich von einer Kombination aus Technologie und menschlicher Kreativität geprägt sein. Es ist unwahrscheinlich, dass KI Musiker*innen komplett arbeitslos machen wird, aber sie kann Veränderungen in der Art und Weise bewirken, wie Musik geschaffen, verteilt und konsumiert wird. Musiker*innen können von den Möglichkeiten der Technologie profitieren und sie als Werkzeug zur Erweiterung ihrer kreativen Prozesse nutzen.
Letztendlich wird die Zukunft der Musikindustrie davon abhängen, wie Musiker*innen, Technologieunternehmen und die Gesellschaft als Ganzes mit den Herausforderungen und Chancen, die KI mit sich bringt, umgehen. Die Menschlichkeit und Individualität, die handgemachte Musik auszeichnet, werden jedoch immer eine besondere Bedeutung für die Musikwelt haben und einzigartige Verbindungen zwischen Musiker*innen und ihrem Publikum schaffen.“
– ChatGPT July 20 Version
Quelle: Blog von Mara, The Singing Cellist
Autor*in
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Mara Kochendörfer ist freischaffende professionelle Musikerin aus Wiesbaden. Nach einem klassischen Cellostudium in Weimar und Lyon hatte sie deutschlandweite Anstellungen in verschiedenen Theater-Orchestern, bis sie ihren letzten Orchesterjob kündigte, um sich ihre eigenen musikalischen Träume zu erfüllen. Ein Meisterkurs für Jazz-Cello und anschließender Studiengang für Jazz-Improvisation an der Uni Linz haben ihr neue musikalische Wege eröffnet. Seitdem schreibt sie als MARA the singing cellist ihre eigene Musik und ist abseits des klassischen Mainstreams als Singer-Songwriterin-Cellistin unterwegs. Im Fernsehen war sie mit Alex Christensen, The Dark Tenor und den Queenz of Piano zu sehen, sie spielte auf der Zugspitze als Vorband für Alice Merton und hat 2019 und 2023 im Stageorchester die Deutschlandtournee von Michael Bublé begleitet. Neben Konzerten unterrichtet sie, wird als Studiomusikerin gebucht und hat 2020 ihr erstes Soloalbum mit dem Titel Off The Beaten Track veröffentlicht.