Ein (nicht ganz ernst gemeinter) Vergleich von Daniel Mattelé
Ich erinnere mich daran, dass ich im Studium öfter mal per Mitfahrgelegenheit irgendwohin gefahren bin. Damals, sozusagen im goldenen Zeitalter dieser Fortbewegungsmethode, ging es weniger um den nächsten Termin und die damit verbundene pünktliche Ankunft, sondern um die Begegnung mit fremden Menschen. Da man nur eine relativ kurze Zeit hatte, um sich kennenzulernen, ging es in der Regel gleich ans Eingemachte: „Und, was machst Du so?“
Schon war ich enttarnt! Denn ich studierte das so ziemlich Uncoolste, was man sich vorstellen konnte: Klassische Musik! Und weil das noch nicht schlimm genug war, wurde es – je nach Interesse des Gegenüber – ab da nur noch peinlicher: „Aha. Muss man da nicht ein Instrument spielen?“ – „Äh, ja…“ – „Was spielst Du denn?“ – „Naja, also eigentlich … Harfe.“ Damit war früh auf der Reise klar, dass hier für mich nichts mehr zu holen war. Den Rest der Fahrt sprach man meistens über das, was die anderen so machten. Die Fahrten, auf denen nach „Was machst Du so?“ kein weiterer Informationsbedarf mehr bestand, habe ich als absolute Wohltat in Erinnerung behalten. Denn: Man konnte sich dann einfach mal entspannt über die Dinge unterhalten, über die man sich eben so unterhält: Sport, die Weltpolitik – und ja: Auch über Musik. Allerdings nicht Klassik, sondern „richtige“ Musik. Zeitsprung in die Gegenwart: Kürzlich bekamen wir das Feedback, das PRO MUSIK Magazin sei zu Klassik-lastig. Es solle doch in Zukunft bitte mehr Beiträge zu Pop-Themen geben. Nun stehe ich als Autor vor einem Problem: Genauso wie damals meine werten Mitfahrer*innen keine Ahnung hatten, was sie mich zum Thema Klassische Musik fragen sollten, bin ich heute ebenfalls aufgeschmissen, wenn ich etwas über Popmusik schreiben soll. Ich bin zwar studierter Musiker und könnte stundenlang über das Farbenklavier von Alexander Skrjabin, die korrekte Handhaltung beim Flageolett auf der Harfe oder darüber, warum man in der Probezeit im Orchester keine Turnschuhe tragen sollte sprechen, aber beim Aufzählen der Beatles-Songs versage ich ebenso jämmerlich wie bei der Frage, wie man sich als junge*r Popmusiker*in auf Instagram vermarkten muss. Wenn also in Zukunft mehr Pop-Beiträge hier erscheinen sollen, bin ich dafür der falsche Mann. Wie brauchen auf jeden Fall neue Autor*innen! Trotzdem: Einen unzureichenden Versuch, meine Ignoranz gegenüber allen nicht-Klassik-Genres in einen Artikel über Popmusik umzumünzen, werde ich wagen. Daher stelle ich mir nun einfach mal die Frage: Aus meiner persönlichen Erfahrung, was ist besser, Klassik oder Pop? Und da es hier ausschließlich um meine eigenen Vorurteile geht, werde ich mir auch nicht die Mühe machen, zu differenzieren oder andere Genres in diesen höchst unfairen Vergleich einzubeziehen. Also liebe Volksmusiker*innen, Ruhe in den hinteren Reihen, ihr habt in diesem Artikel wirklich gar nichts verloren! Beginnen wir den Vergleich mit dem wichtigsten Punkt: Natürlich ist klassische Musik besser als Popmusik. Wir haben eine fünfhundert Jahre alte Tradition, man muss nach einer der Kunst geopferten Kindheit jahrelang studieren, sich dabei von den Meister*innen unserer Zunft das Gehirn waschen lassen, bevor man schließlich als Star von namhafter Konzerthalle zu namhafter Konzerthalle durch die Weltgeschichte tourt und vor ausschließlich ausverkauftem Hause spielt. Das Publikum – im Übrigen alles Klassik-Liebhaber*innen jeden Alters und jeder Couleur – nimmt jede noch so feine Nuance der unterschiedlichen Interpretationen wahr und jubelt am Ende (aber nie, ich wiederhole: NIE! zwischen den Sätzen) seinen Idolen zu.
Um Popmusik zu machen, muss man hingegen gar nichts können. Eine Konzert(sic!)-Gitarre von Aldi für 39,99 € und eine einigermaßen tonhöhensichere Stimme reicht völlig aus, um eine erfolgreiche Karriere zu starten (bei wem es da noch hapert – Auto Tune macht’s möglich). Schnell mit dem Handy ein paar YouTube-Videos aufgenommen, und los geht’s mit dem großen Geld. Wem selbst dafür die Eigeninitiative fehlt, kann sich auch bei einer Castingshow entdecken lassen. Da regelt dann Dieter Bohlen alles weitere für einen. Und seien wir ehrlich: Da kann ja gar nichts Gescheites bei herauskommen. Aber eines ist schon komisch: Wenn mein Urteil doch so eindeutig ausfällt, warum geben dann nur 33% der Deutschen an, sie würden gerne Klassische Musik hören, während Rock und Pop auf 72% Zustimmung stößt? Meine klare Antwort: Weil sie die Klassische Musik nicht wertschätzen können! Wer keine Ahnung hat, den wollen wir auch gar nicht in unseren Konzerten sehen. Wer hat schon Lust auf ausverkaufte Stadien voller grölender Betrunkener, wenn man im halbleeren Kammermusiksaal eine schönes Konzert für Maultrommel und Streicher von Albrechtsberger oder ein exquisites Harfenduo von Stockhausen (kein Scheiß, das gibt es wirklich!) genießen kann? Und frag mich bloß nicht nach der Finanzierung! Wir lassen unsere Konzerte einfach so lange öffentlich fördern, bis wir vollkommen unabhängig sind von der Meinung des Publikums. Das wäre ja noch schöner, wenn wir unsere Werke nach dem Geschmack der Zeit auswählen würden. Künstlerischer Ausverkauf, sag ich! Wir spielen lieber nach dem Geschmack von vor hundert, ach was, zweihundert Jahren! Da wusste man die Klassik noch wertzuschätzen. Wobei: So ganz stimmt das natürlich nicht, denn zu dieser Zeit – und ja, früher war alles besser – war die Klassische Musik ja im Prinzip die Popmusik. Es gab schließlich nichts anderes. Warum kann es bloß nicht wieder so werden??? Nun ja, um ehrlich zu sein… So ist es immer noch. Das, was der Masse gefällt, nennt man eben Popmusik (Pop, populär, verstehst Du?). Die Popmusik funktioniert im Übrigen heute genauso wie vor x-hundert Jahren. Das meiste ist Mist und wird, nachdem es einmal die Charts gestürmt hat, in den Mülleimer der Geschichte wandern. So ist es immer schon gewesen. Fragen Sie mal Giacomo Meyerbeer: Der hätte sich wahrscheinlich auch nicht träumen lassen, dass seine Opern nach Ende der Spielzeit je wieder aufgeführt werden. Oder Bach: Der ist dem Mülleimer nur deshalb entkommen, weil Mendelssohn ihn wieder herausgefischt hat. Der einzige Unterschied ist heute eben der, dass die Popmusik halt nicht mehr „Klassik“ ist. Revidiert das mein Urteil über Popmusik? Auf gar keinen Fall! Ich liebe Klassik! Die emotionale Tiefe mancher Werke ist unglaublich und die Vielfältigkeit einer einzigen Sinfonie übersteigt nicht selten diejenige eines kompletten Pop-Albums. Klar, es ist ein bisschen unfair, schließlich haben wir uns auch nur die Perlen aus fünfhundert Jahren Musikgeschichte herausgepickt, die wir heute immer und immer wieder im Rundlauf aufführen. Wer mal ein Werk vom unbekannten Mozart-Zeitgenossen Nr. 523 gehört hat, könnte ebenso gut auf die Idee kommen, Klassik sei Murks. Ich finde es persönlich total schade, dass in manchen Kreisen Klassik so einen schlechten Ruf hat. Die Klassik-Szene trägt allerdings auch nicht gerade dazu bei, diese Gräben zu überbrücken. Ich kann es schon verstehen, das besonders junge Leute das Setting eines klassischen Konzerts wenig ansprechend finden. Sitz still, klatsch erst, wenn alle klatschen (aber NIEMALS zwischen den Sätzen!), und renn im Schlussapplaus schnell ins Parkhaus, um ja als erste*r wieder zu Hause zu sein! Aber was könnten sie erleben, wenn sie einfach darüber hinwegsehen oder wenigsten zu Hause eine Klassik-Playlist anhören würden. Es muss ja nicht gerade was von dem Relax-with-Classical-Music-Schrott sein. Wenn Ihr die Mondscheinsonate oder Clair de Lune hören wollt, sucht Euch doch bitte eine vernünftige Aufnahme, bei der alle Sätze gespielt werden (aber NICHT dazwischen klatschen!).
Ich muss gestehen: Manchmal habe auch ich einfach keinen Bock mehr auf Klassik und greife zu Ersatzdrogen. Ich bin nicht wählerisch: Je nach Stimmungslage dürfen es auch Frank Sinatra oder Die Ärzte sein. Wenn ich ehrlich bin, habe ich schon seit einigen Monaten keine Klassik mehr gehört… Es gibt sie nämlich sehr wohl: Die Fragen, auf die die Klassik keine Antwort liefert. Ich habe, um im Bild zu bleiben, den Eindruck, dass manche*r klassische*r Musiker*in sich diese Fragen nur einfach noch nie gestellt hat. Die Moral von der Geschichte: Vielleicht können wir ja alle was von den Anderen lernen!
Außer natürlich von der Volksmusik.
Fun fact zum Schluss: Beim Schreiben dieses Artikels habe ich mich beim Wort Popmusik mehrfach verschrieben. Wahlweise kam Popomusik oder Poopmusik dabei heraus. Wer hier eine Freud’sche Fehlleistung vermutet, hat wahrscheinlich recht. Wer nach der Lektüre dieses Artikels trotzdem noch Lust hat, sich in der Redaktion mit meinen blasierten Meinungen live auseinanderzusetzen und darüber hinaus auch noch Ahnung von Popmusik hat, kann sich gerne melden, um über diese Themen qualifiziertere Beiträge als diesen hier zu verfassen. Die Kontaktadresse lautet [email protected]. Morddrohungen von Albrechtsberger- und Stockhausen-Fans können ebenfalls an diese Adresse gerichtet werden. Wir werden sie unkommentiert und unzensiert als Leserbriefe veröffentlichen. Vielen Dank!
Autor*in
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Daniel Mattelé studierte Musik mit Hauptfach Harfe an den Musikhochschulen in Weimar, Detmold und München, wo er ein künstlerisches Diplom erwarb. Bis vor der COVID-19-Pandemie war er als freier Orchestermusiker tätig. Zusammen mit seiner Partnerin Laura Oetzel gibt er regelmäßig Kammermusikkonzerte als Harfenduo und betreibt den Blog dasharfenduo.de, auf dem über Themen aus der klassischen Musikszene berichtet wird. Schwerpunkte dieser Berichterstattung sind Beiträge über die #metoo-Bewegung sowie über Arbeitsbedingungen für Musiker:innen. Bei PRO MUSIK baut Daniel als Mitglied der Redaktionsleitung das PRO MUSIK Magazin auf. Er ist Mitglied bei der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) sowie im Verband der Harfenisten in Deutschland e. V.