Aktualisiert: 6. Juli 2023
Ein Überblick zu derzeitigen Überlegungen und Strategien
Von vielen Menschen und an vielen Orten wird zur Zeit über die Bezahlung freischaffender Musiker:innen nachgedacht. Hier soll hier ein Überblick zum Diskussionsstand in den derzeit aktiven Gremien und Initiativen zu Mindeststandards und Honoraruntergrenzen in der freien Musikszene gegeben werden – ohne den Anspruch, im Detail über die Erörterungen zu berichten oder den offiziellen Verlautbarungen der Arbeitsgruppen vorgreifen zu wollen. Gleichwohl erscheint es wünschenswert, zumindest einen Zwischenstand wiederzugeben, damit das zentrale Thema der fairen Vergütung auf noch breiterer Basis diskutiert werden kann. Rückmeldungen und Ergänzungen, auch mit abweichenden Positionen, sind herzlich willkommen.
Im Fokus stehen derzeit verschiedene Bemühungen, faire Honorarsätze bei der Vergabe öffentlicher Kulturfördergelder zu etablieren. An der Zielsetzung, die Förderrichtlinien für Musikprojekte neu zu gestalten, wie es etwa bei der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa und in einer Arbeitsgruppe des Deutschen Musikrats angestrebt wird, wirken mehrere Verbände der freien Musikszene mit. Nachdem deutlich wurde, dass die bisher etablierte Förderpraxis dringend optimierungsbedürftig ist, weil die Tagessätze für ein- und mehrtägige Projekte zu einem personenbezogenen monatlichen Einkommen führen, das unterhalb der Armutsgrenze angesiedelt ist, werden nun Kriterien diskutiert, auf welcher Basis eine sozialverträgliche und existenzsichernde Vergütung für professionell ausgebildete Musiker*innen generiert werden kann. In die Überlegungen einbezogen werden bestehende Publikationen zu Honorarempfehlungen und Mindeststandards aus verschiedenen Berufsverbänden und Gewerkschaften.
Unternehmereigenschaft und 40 Prozent betriebliche Kosten
Ausgangspunkt der Diskussion ist die grundsätzliche Annahme der Unternehmereigenschaft freischaffender Musiker*innen und ein realistisches Verhältnis zwischen produktiver (direkt vergüteter) und unsichtbarer (investiver, also nicht direkt vergüteter) selbstständiger Arbeit. Zudem sind in höherem Maße als in allen bisherigen Berechnungen betriebliche Kosten anzusetzen, die – abhängig von der jeweiligen Musiksparte – durchaus die Höhe des Bruttoumsatzes erreichen können, bedingt durch die im Vergleich zu Angestellten deutlich höheren Kosten für Anschaffungen von Instrumenten und Geräten, Raummieten, Fahrtkosten und weiteren, zum Teil branchen- und genreabhängigen Ausgaben. Für die betrieblichen Kosten erscheint ein Mittelwert von 40 Prozent des Ziel-Bruttoeinkommens realistisch; dieser Wert ist, wie in einer Modellrechnung des Sächsischen Musikrats ermittelt wurde, offenbar weitgehend unabhängig von der Karrierephase, in der Musiker*innen sich befinden, und wird in technikaffinen Musikgenres sogar regelmäßig überschritten. Außerdem ist auch, wie bei der Buchhaltung anderer Selbstständiger, ein Risiko- bzw. Investitionszuschlag von 10–20 Prozent einzubeziehen. Die aus diesen Voraussetzungen folgenden Honorarsätze müssen als Ziel-Untergrenze verstanden werden, stellen also ein Minimum dar, mit dem freischaffende Musiker*innen unter Annahme einer Vollbeschäftigung zu gleichen Bedingungen kostendeckend wirtschaften könnten. Mit der Implementierung eines solchen Modells in die öffentlichen Förderstrukturen wäre ein maßgeblicher Schritt zur Gewährleistung fairer Vergütungen für freischaffende Musiker*innen getan.
In einigen Bundesländern gibt es vergleichbare Erwägungen, die zum Teil an schon bestehende Förderrichtlinien, etwa aus den Bereichen der bildenden und darstellenden Künste, anknüpfen können. Einigkeit besteht vielerorts bei der Frage, dass von der Gesamtzahl der jährlichen Arbeitstage, die in Anlehnung an den Beschäftigungsumfang im öffentlichen Dienst angesetzt werden kann, nur etwa 50 Prozent als »sichtbare Arbeit« bzw. »disponible Zeiten« veranschlagt werden können. Die übrigen Zeiträume, im Mittel also die andere Hälfte der Arbeitstage, sind für investive Arbeit (Proben, eigenes Üben, konzeptionelle Tätigkeiten) zu berücksichtigen, wobei projektspezifische und projektübergreifende »unsichtbare Arbeit« vielfach nicht klar voneinander abgegrenzt werden können. Da man nicht davon ausgehen kann, dass Freischaffende kontinuierlich in gleichbleibendem Maße beschäftigt sind, geht es letztlich darum, auftragsarme oder weniger aktive Phasen mit den zustande kommenden Tätigkeiten, ob diese nun öffentlich gefördert werden oder nicht, kompensieren bzw. querfinanzieren zu können.
Bedenken bestehen in den Arbeitsgruppen allerdings noch hinsichtlich der Durchsetzbarkeit einer neuen Förderrichtlinie, falls die bisherigen Honorarsätze deutlich überschritten werden. Hier macht sich ein potentieller Interessenkonflikt bemerkbar: Einige Spartenverbände vergeben selbst Fördergelder, und manche Ensembles und Klangkörper treten neben ihrem Anliegen, die Interessen einzelner Musiker*innen gut vertreten zu wissen, zugleich als Veranstalter in Erscheinung. Auch wenn es aus Auftraggebersicht nachvollziehbar ist, die Finanzierbarkeit der Forderungen gewährleisten zu wollen, sollte nicht in vorauseilendem Gehorsam weniger beansprucht werden, als für eine existenzsichernde Vergütung nötig ist.
Tariforientierung, Durchschnittseinkommen oder Existenzminimum
Ebenfalls keine einheitliche Meinung besteht bisher bei der Wahl der Bezugsgrößen für die Berechnung einer Honoraruntergrenze: Sollte man sich an den nach Berufserfahrung und Qualifikation differenzierten Entgeltstufen des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst (TVöD bzw. TV-L) oder am Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern (TVK) orientieren? Soll ein Durchschnittseinkommen zu Rate gezogen werden, wie es etwa der Berechnung eines Rentenpunkts zu Grunde liegt? Oder ist eine Staffelung nach unterschiedlichen Merkmalen eines Existenzminimums sinnvoll, wie sie etwa das Ampel-Modell des Sächsischen Musikrats vorsieht, das Werte für die Armutsgefährdung, den Mindestlohn und das Einkommen im Niedriglohnsektor als Kriterien heranzieht?
Ein klares Plädoyer für die Orientierung an den etablierten Tarifsystemen beinhaltet das Berechnungsmodell für Basishonorare für selbstständige Kreative, das kürzlich von der Abteilung Kunst und Kultur der Gewerkschaft ver.di erarbeitet wurde. Hier werden vier Entgeltgruppen des TVöD als Berechnungsgrundlage vorausgesetzt, obwohl der Tarif nicht in allen Belangen geeignet erscheint, die Arbeitsrealität Freischaffender zu modellieren. Als problematisch kann beispielsweise angesehen werden, dass bei der Modellierung des freiberuflichen Einkommens einzelner Musiker*innen mit Angestellten-Gehältern zwei Konzepte miteinander vereint werden, die im Grunde nicht vergleichbar sind: Soloselbstständigen-Unternehmergewinn auf der einen Seite, Arbeitnehmerbrutto auf der anderen Seite. Eine Eingruppierung selbstständiger Musiker*innen nach Qualifikation, Berufserfahrung oder »gleichwertigen Fähigkeiten« mag zudem in manchen Fällen fragwürdig erscheinen; eine Bezugsgröße wie das zu einem Rentenpunkt äquivalente Einkommen hätte den Vorteil, dass sie qualifikations- und dienstzeitunabhängig angewendet werden kann. Andere Schwierigkeiten könnten durch uneinheitliche Abrechnungszeiträume verursacht werden: Eine stundenweise Kalkulation, wie sie im ver.di-Modell etwa für den Musik- und Theaterbereich vorgeschlagen wird, korrespondiert nicht zu den in der freien Szene etablierten Routinen und Organisationsweisen. Es wird zwar gewürdigt, dass in Konzerten und Gigs weitaus mehr Arbeit steckt als nur die Erbringung einer punktuellen, nach außen sichtbaren Leistung – allerdings wird bei Musikprojekten in der Regel nicht mit Stundensätzen operiert, bei denen Aufbauzeiten, Anspielproben oder notwendige Ruhepausen potentiell aus der Berechnung herausfallen. Verbreiteter sind hingegen Tagessätze, mit denen auch Reisezeiten und individuelles Üben besser kalkulierbar werden.
Die branchenübergreifende Honorarumfrage der Initiative SO_LOS, durchgeführt vom Haus der Selbstständigen Leipzig, ist mittlerweile abgeschlossen; Ende November 2022 wurden die Ergebnisse vorgestellt und mittlerweile auch online publiziert. In der Auswertung sind allerdings keine Informationen zu Betriebskosten enthalten, da diese nicht abgefragt wurden. Außer dem Umstand, dass für Musiker*innen im Branchenvergleich mit die niedrigsten Honorarsätze gezahlt werden, sind hier noch keine für die Musikbranche spezifischen Erkenntnisse ablesbar. Von Interesse wären insbesondere Einzelergebnisse für bestimmte Berufsgruppen, soweit hierzu aussagekräftige Zahlen vorliegen: etwa für freischaffende Musiker*innen mit vorrangig künstlerischen Tätigkeiten sowie hauptberuflich als Musikpädagog*innen tätige Personen.
Kultur- und verbandspolitische Dimensionen
Auf politischer Ebene hat sich vor einigen Monaten die Kultusministerkonferenz des Themas angenommen, nachdem die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag das Anliegen, die soziale Lage von Künstler*innen zu verbessern, und die Einführung von Mindesthonoraren für Freischaffende auf die Agenda gesetzt hat. Mit dem Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur Brandenburg hat ein erstes Bundesland bereits im Februar 2022 Honorarstandards in seinen Förderrichtlinien verankert, die sich an den Tagessätzen von unisono, der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung, orientieren; verglichen mit den oben erwähnten Berechnungen der Musikräte und den ver.di-Basishonoraren erscheinen diese jedoch zu niedrig. Auf Initiative der Kultusministerkonferenz wurde eine Kommission für die faire Vergütung selbstständiger Künstlerinnen und Künstler ins Leben gerufen, die in zwei Sitzungen im Juli und Oktober 2022 und im Austausch mit Arbeitgeberverbänden eine Honorarmatrix-Struktur entwickelt hat, welche zur Ermittlung spartenspezifischer Honoraruntergrenzen in den einzelnen Bundesländern dienen soll. Obwohl die Matrix bisher nur in einer Blankoversion ohne konkrete Zahlenwerte vorliegt, wird sie als »Weichenstellung für eine bessere Absicherung im Kulturbereich« beworben. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft Nordrhein-Westfalen hat angekündigt, Anfang 2023 verbindliche Mindesthonorare für die Landeskulturförderung einführen zu wollen. Mehrere Fachverbände, darunter auch der Deutsche Musikrat und das Bundespräsidium des Deutschen Tonkünstlerverbands, unterstützen die Initiative, deren Implementierung im Detail jedoch unklar bleibt: Bisher ist in vielen Bereichen nicht deutlich, auf welchem Wege die Matrix mit Inhalten gefüllt werden soll und wie die Zahlen anschließend zur Berechnung konkreter Honorarsätze eingesetzt werden – und auch hier ist keine Kalkulation für betriebliche Kosten vorgesehen.
Einige Interessenvertretungen haben bereits vor Jahren Honorarempfehlungen für musikpädagogische Tätigkeiten vorgelegt, beispielsweise mehrere Landesverbände des Deutschen Tonkünstlerverbands (Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, zum Teil mit nach regionalen Mietspiegeln differenzierten Stundensätzen; siehe auch den Vollkostenrechner und Honorarsatzrechner des DTKV) oder die Koalition der Freien Szene Frankfurt. Dennoch spielen Unterrichtshonorare in den Diskussionen um öffentliche Förderung bisher keine oder eine sehr untergeordnete Rolle. Da aber fast alle professionellen Musiker*innen auch pädagogisch tätig sind, und zwar häufig sowohl an öffentlichen Musikschulen oder Musikhochschulen als auch an privaten Institutionen und als soloselbstständige Lehrer*innen, erscheint es kaum sinnvoll, die Bereiche aus kulturpolitischer Sicht separat zu betrachten, selbst wenn die derzeitigen Bemühungen primär künstlerische Aktivitäten in den Blick nehmen.
Aus Sicht der Verbände bleiben tragfähige Mindesthonorare für künstlerische Arbeit in der freien, ungeförderten Musikszene weiterhin ein Desiderat, da die bisher existierenden Honorarempfehlungen sämtlich unverbindlichen Charakter haben und weder für die Auftraggeber- noch für die Auftragnehmerseite bindend sind – auch wenn beispielsweise die Honorarleitlinien des Tonkünstlerverbands Bayern in die Landeskulturförderung und in öffentliche Projektausschreibungen übernommen wurden und auf regionaler Ebene durchaus eine Wirksamkeit entfalten. Verbesserungen im öffentlichen Fördersystem können umgekehrt zwar auch eine Signalwirkung für den freien Markt erzeugen; ein nachhaltiger Wandel erfordert aber eine eigenständige Diskussion, in die auch die Interessenverbände der Musikbranche einbezogen werden müssen. Ansätze hierzu gibt es etwa in der Arbeitsgruppe Honorarstandards des PRO MUSIK Verbands freier Musikschaffender, wo – neben der Mitwirkung in verschiedenen bundesweiten Gremien zum Thema faire Honorare – derzeit über ein tragfähiges Modell für Gagenrichtwerte beraten wird. Dabei wird explizit nicht von einer Untergrenze ausgegangen, da Mindestforderungen leicht als erstrebenswerte Zielvorgabe fehlinterpretiert werden können; stattdessen wird ein Mittelwert als Orientierungsgröße gewählt, in den auch das unternehmerische Risiko als Faktor einkalkuliert wird. Angestrebt wird die Entwicklung eines Online-Tools, das auf der Basis einer datenbasierten Analyse Empfehlungen zu realistischen und existenzsichernden Einkünften in verschiedenen freiberuflichen Musiksparten ausgibt, die für eigene Kalkulationen als Grundlage dienen können.
Kollektivverhandlungen für Soloselbstständige möglich
Mittlerweile wird auch im Kulturausschuss des Bundestags über Mindesthonorare für Künstler*innen diskutiert. Eine tatsächliche Honorarordnung für freie künstlerische Tätigkeiten, die durch Berufsverbände mit kulturpolitischer Unterstützung bei den Auftraggebern durchsetzbar wäre, ist bisher nicht in Reichweite. Nach einem Beschluss der EU-Kommission vom September 2022 sind nun allerdings Kollektivverhandlungen und damit Honorarrichtlinien für Soloselbstständige – also für die meisten freischaffenden Musiker*innen und Musikpädagog*innen – explizit möglich, fallen also nicht länger unter eine wettbewerbsrechtliche Schranke. Diese Neuregelung könnte zukünftig die Diskussionen beleben.
Transparenzhinweis: Der Autor ist Vorstandsmitglied im Landesverband Berlin des Deutschen Tonkünstlerverbands. Eine kürzere Fassung dieses Artikels ist in der neuen musikzeitung 12 / 2022 – 01 / 2023 erschienen.
Dank geht an Ella Rohwer und Alf Schulze für ihre Anregungen und Anmerkungen.
Autor*in
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Wendelin Bitzan ist Musiker, Komponist und Musikforscher. Er studierte in Detmold, Berlin und Wien und erwarb Abschlüsse in Musiktheorie, Instrumentalpädagogik und Tonmeister (Diplom) sowie in Musikwissenschaft (Promotion). Nach mehreren Lehrauftragstätigkeiten unterrichtet er nun als Dozent für Musiktheorie an der Robert Schumann Hochschule Düsseldorf. Außerdem arbeitet er als freier Komponist und Fachautor und konzertiert als Pianist und Interpret eigener Kompositionen. Seine wissenschaftlichen und journalistischen Publikationen erscheinen in Büchern, Zeitschriften und Online-Medien. Außerdem setzt er sich in Berufsverbänden und als Publizist für die Interessenvertretung freischaffender Musiker:innen ein.