Gastbeitrag von Catriona Fadke
Wer heute als Musiker*in auf der Bühne steht, spielt nicht mehr nur für das anwesende Publikum: Es benötigt kaum mehr als ein Smartphone, um eine Brücke zwischen Konzertsaal und Wohnzimmer zu bauen, zumindest scheint es so auf den ersten Blick. Mit dem Slogan „Broadcast Yourself“ versprach YouTube einst die simple, barrierearme Möglichkeit, das eigene Schaffen im Internet zu teilen und so ganz zum Spaß Teil einer digitalen Community zu werden. Im Angesicht aktueller politischer Entwicklungen kann man über die ethisch vertretbaren Nutzungsmöglichkeiten von Plattformen wie TikTok, Instagram und X (ehemals Twitter) sicherlich streiten, nichtsdestotrotz gehört ein professioneller Social Media Auftritt längst zu jeder zeitgemäßen Öffentlichkeitsarbeit.
Die Freude an der Selbstdarstellung rückt allerdings spätestens dann in den Hintergrund, wenn von der richtig platzierten Ad auf einmal reale Zuschauer*innenzahlen und damit auch die eigene Miete abhängen und man neben Proben, Reisebuchungen, Mails und Förderanträgen um zwei Uhr morgens noch dringend versucht, ein „authentisches“ Reel zu posten.
Der Wert von Social Media Arbeit // Zwischen Bühne und Sorge-Arbeit
Die Anforderungen an selbstständige Künstler*innen gehen heute weit über die künstlerische Praxis hinaus und beruhen auf der Annahme, es sei möglich, alle Stellen einer klassischen Organisationsstruktur allein zu besetzen. Die dafür benötigten Skills allerdings sind kein fester Bestandteil künstlerischer Ausbildungen, sie werden im Gegenteil meist als selbstverständlich vorausgesetzt. Es handelt sich dabei oft um jene Fähigkeiten, die man in Arbeitsbereichen wie z.B. Öffentlichkeitsarbeit oder Office Management braucht – Bereiche, die in Ensembles klassischerweise von FLINTA*-Personen (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) besetzt sind und in vielen Fällen die oft von Cis-Männern geleitete künstlerische Arbeit „unterstützen“. Die für diese Bereiche erforderlichen Skills sind in der klassisch weiblich zugeordneten Sorge-Arbeit (Care-Arbeit) zu verorten. Dass diese noch heute viel zu oft für selbstverständlich gehalten werden, schließt an die lange patriarchale Geschichte unserer Gesellschaft an, die Care-Arbeiten mit Missachtung und ausbleibender Bezahlung gestraft hat und zeigt sich noch heute zum Beispiel im sogenannten Gender Pay Gap oder, in diesem konkreten Fall, in der Annahme, es würde sich bei Arbeitsbereichen wie der Social Media Arbeit um leichte Aufgaben handeln, die Musiker*innen gut nebenbei erledigen können. Dabei wird nicht nur die Komplexität von Social Media Arbeit unterschätzt, sondern es entsteht auch ein Anspruch, der schnell zu Überforderung führen kann.
Die Klassik und das Authentizitäts-Dilemma
Sicher auch, um uns in hier nicht allein zu fühlen, beschwören wir in sozialen Netzwerken gern die bereits erwähnte „Authentizität“ als Gütesiegel zeitgemäßen Contents herauf. Längst wurden detailverliebte Kreativprojekte mit langer Produktionszeit durch Simplizität und Emotionalität abgelöst – einmal schnell, regelmäßig und nahbar, bitte! Die durch Algorithmen geregelten Sozialen Netzwerken bevorzugen aktiv Inhalte, die aktuellen Trends und Idealen entsprechen, und zeigen Nutzer*innen andere Inhalte kaum noch an. So setzt auch die Plattform selbst bestimmte Content-Archetypen durch.
Das Ideal der Authentizität fordert eine andere Nähe und damit auch Verletzlichkeit von den Social Media Nutzer*innen, als es noch vor einigen Jahren der Fall war. Besonders bei Musiker*innen und Ensembles in der Welt der Klassischen Musik kommt es in der Auseinandersetzung mit ihrer digitalen Persona oft zur Kollision mit dem, was ihnen über Jahre als ausschlaggebend für ihre Profession vermittelt wurde. Denn wohl kaum eine andere künstlerische Disziplin hegt und pflegt ihr Faible für Perfektionismus so sehr wie die Klassik.
Beginnt man seine Ausbildung wie viele klassische Musiker*innen schon im Kindesalter, ist die perfektionistische Haltung so tief verwurzelt, dass sie sich gern auch auf andere Arbeitsbereiche überträgt. Die Vorstellung, authentische, persönliche und damit auch fehlerhafte Aufnahmen, nicht perfekte Probenmomente oder Herausforderungen als Teil seiner eigenen Vermarktung zu begreifen, scheint hier deshalb, anders als in anderen künstlerischen Genres, eine besondere Herausforderung darzustellen. Unter dem Druck, inmitten der Mehrfachbelastung auch noch Lockerheit zu vermitteln oder, im Gegenteil, den angelernten Perfektionismus sogar auch auf den schnelllebigen Arbeitsbereich Social Media anzuwenden, sind Krisen vorprogrammiert.
All dies sind Umstände, welche Ensembles wie Einzelkünstler*innen schon länger vor komplexe Herausforderungen stellten. Die aktuellen Kürzungen im Bildungs- und Kulturbereich verschärfen diese Probleme jedoch immens. Sie führen vermehrt zu Stellenabbau in jenen Berufsfeldern wie zum Beispiel dem Social Media Management, bei denen bis heute fälschlicherweise davon ausgegangen wird, dass sie mit wenigen Arbeitsstunden pro Woche und ohne vorangegangene Ausbildung auch von Musiker*innen neben ihrer künstlerischen Tätigkeit erledigt werden können. Dabei ist Social Media Management längst ein eigenes Berufsfeld, dessen Herabwürdigung weder den professionellen Social Media Manager*innen noch den Musiker*innen gegenüber fair wäre, die sich dieser komplexen Aufgabe trotz Mehrfachbelastung annehmen.
Wege aus der Social Media Krise // Was sich ändern müsste, damit Klassik ankommt
Leider ist die Komplexität und Relevanz von Social Media Arbeit gerade in der Klassik noch nicht umfänglich anerkannt. Dabei benötigt es genau diese Anerkennung, um das Arbeitsfeld sowohl für Profis als auch für Selbstständige endlich zugänglicher zu gestalten. Der erste Schritt ist dabei eine genaue Betrachtung und Vermittlung der notwendigen Arbeitsprozesse: Von der Konzeption einer übergreifenden Marketing-Strategie für die Musiker*innen oder Ensembles, über die Auswahl geeigneter Plattformen, die Konzeption von interessanten und passenden Inhalten, die Erstellung eines Redaktionsplans und die gesamte Produktion, Nachbearbeitung und Veröffentlichung des Contents bis hin zur Betreuung der Community/den Follower*innen. All diese Schritte bedeuten Aufwand und nur, wenn wir uns diesem Aufwand und den notwendigen Skills bewusst werden, können wir Social Media Management als das anerkennen, was es ist: Arbeit. Ein kleines Wort, das eine große Außenwirkung haben und zu realen Veränderungen beitragen kann: Zum einen lernen wir, uns von der Vorstellung zu distanzieren, diese Tätigkeiten müssten uns allen gleichermaßen Freude bereiten, zum anderen wird leider nur das, was wir gemeinschaftlich als Arbeit bezeichnen und behandeln, schlussendlich auch als solche vergütet.
Um Interessierten einen realistischen Einblick in die Social Media Arbeit und dadurch Zugang zu ermöglichen, benötigt es schrittweise und simple Arbeitsanleitungen. Diese entzaubern die glänzenden Bilder in unseren Feeds und lenken den Blick stattdessen auf ihre Entstehung. Dieser Annäherung an die Materie Zeit und Raum zu geben, stellt jedoch schon die nächste Hürde dar. Im hektischen Arbeitsalltag verkommt der anhaltende Prozess der Contentproduktion, der fast alle Künstler*innen begleitet, zur Dauerbelastung, über die wir zu wenig Worte verlieren. Die Gründe dafür sind vielfältig: zum durch die Mehrfachbelastung entstehenden Zeitmangel kommt vor allem oft auch Scham und der Glaube, man wäre allein mit seiner Unzulänglichkeit. Hilfestellung können Räume leisten, in denen ein niedrigschwelliger Austausch zu dieser verdrängten Problematik ermöglicht wird. „Empowerment II – Alte Musik vernetzt“, eine Workshopreihe der Vereinigung Alte Musik Berlin (VAM Berlin), schafft solche Momente des Miteinanders, um die Social Media-Content-Praxis, die unter den aktuellen Umständen mehr Einsamkeit als Gemeinschaft fördert, zu durchbrechen. Gefühlen von Überforderung und Isolation, die sich in der Lücke zwischen Menschen und ihren Bildschirmen breitmachen, können wir beikommen, indem wir sie teilen und einander wissen lassen, dass aus Überlastung, fehlendem Wissen oder Unsicherheit heraus, für jeden Post, den auf Instagram, TikTok und Co. sehen, mindestens doppelt so viele gar nicht erst gemacht wurden. Gestehen wir uns die Schwierigkeiten dieser Arbeit ein, bekämpfen wir nicht nur die Auswirkungen des in der Klassik tief verwurzelten Perfektionismus auf die Social Media Praxis, sondern auch Schritt für Schritt die Umstände, die zu deren Prekarisierung beitragen. Das Ziel muss nicht nur eine Änderung im persönlichen Umgang mit der Social Media Arbeit sein, sondern auch eine strukturelle Förderung durch eine Aufnahme ins Curriculum künstlerischer Studiengänge, durch angemessene Vergütungen und Zeitkontingente sowie die anhaltende Förderung von Workshops und Weiterbildungsmaßnahmen, die diese Arbeit zugänglicher machen und dazu beitragen, die Klassische Musik endlich auch in digitalen Sphären ankommen zu lassen.
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Catriona Fadke studierte Publizistik- und Kommunikationswissenschaften sowie Filmwissenschaft. Sie arbeitete für verschiedene Träger in der Kulturlandschaft und leitete mehrere Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit eines Ensembles in der freien Klassikszene. Für Stegreif – The Improvising Symphony Orchestra produzierte sie außerdem die Webserie [plural], welche die Arbeitsprozesse junger Musiker*innen in der Klassik begleitet. 2023 leitete sie den Workshop „Alte Musik Digital – Nützliche Tools einfach erklärt“ im Rahmen des Projekts „Empowerment II – Alte Musik vernetzt“ der VAM Berlin. Heute arbeitet sie für diverse deutsche Filmfestivals und lebt in Berlin.